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Gleichbehandlungsfrage: EuGH muss selbstbestimmte Teilhabe mit Gleichbehandlungsgrundsätzen im Arbeitsrecht abwägen


Dieser Fall zeigt sehr schön, dass sich Diskriminierungsschutz und Behindertenschutz widersprechen können. Das hier mit einem Urteil beauftragte Bundesarbeitsgericht (BAG) hat diese Zwickmühle nun an den Europäischen Gerichtshof (EuGH) weitergeleitet. Und dieser muss jetzt darüber befinden, was mehr zählt: die selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen nach Vorgaben der Vereinten Nationen oder die Vorgaben des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), die es Arbeitgebern untersagt, Bewerber ihres Alters wegen zu benachteiligen.

Mit einem Stellenangebot suchte ein Assistenzdienst eine Mitarbeiterin. Der Assistenzdienst bot Menschen mit Behinderungen Beratung, Unterstützung sowie Assistenzleistungen in verschiedenen Bereichen an. Der Assistenzdienst suchte "weibliche Assistentinnen" in allen Lebensbereichen des Alltags, die "am besten zwischen 18 und 30 Jahre alt sein" sollten. Assistenzleistungen werden für Menschen mit Behinderungen nach § 78 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zur selbstbestimmten und eigenständigen Bewältigung des Alltags einschließlich der Tagesstrukturierung erbracht. Sie umfassen insbesondere Leistungen für die allgemeinen Erledigungen des Alltags. Eine 1968 geborene Frau bewarb sich auf die Stellenausschreibung - erfolglos. Als sie nicht genommen wurde, verklagte sie den Assistenzdienst auf Zahlung einer Entschädigung. Sie hat die Auffassung vertreten, der Assistenzdienst habe sie im Bewerbungsverfahren entgegen den Vorgaben des AGG wegen ihres Alters benachteiligt und sei ihr deshalb nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet. Die ausdrücklich an Assistentinnen im Alter "zwischen 18 und 30" Jahren gerichtete Stellenausschreibung begründe die Vermutung, dass sie bei der Stellenbesetzung wegen ihres höheren Alters nicht berücksichtigt und damit wegen ihres Alters diskriminiert worden sei. Die unterschiedliche Behandlung wegen des Alters sei bei Leistungen der Assistenz nach § 78 SGB IX unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt.

Das BAG meinte, den EuGH zu der Frage anhören zu müssen. Der EuGH soll die folgende Frage beantworten: Kann nach den EU-Richtlinien und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie nach Art. 19 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Alters gerechtfertigt sein?

Denn der Assistenzdienst sah die Sache anders als die Bewerberin. Er meinte, eine Ungleichbehandlung wegen des Alters sei nach dem AGG gerechtfertigt. Bei der Beurteilung einer etwaigen Rechtfertigung seien nicht nur die Bestimmungen des Übereinkommens der UN-BRK zu berücksichtigen. Vielmehr sei es auch so, dass die eine persönliche Assistenz in Anspruch nehmenden Leistungsberechtigten nach § 8 Abs. 1 SGB IX ein Wunsch- und Wahlrecht auch im Hinblick auf das Alter der Assistenten/innen hätten. Nur so sei eine selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu erreichen.

Hinweis: Die Antwort des EuGH bleibt abzuwarten. Es kann durchaus nachvollzogen werden, dass für eine Arbeitsassistenz ein bestimmtes Alter erforderlich sein kann. Dabei wird es sicherlich - wie so oft - auf den jeweiligen Einzelfall ankommen.



Quelle: BAG, Beschl. v. 24.02.2022 - 8 AZR 208/21 (A)

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